Text und Bilder von Tanja Herko, Beijing
Ich überlege, was ich diesmal unternehmen kann hier in Beijing. Sch?n w?re es ja, mal aus der Stadt rauszukommen und das Umfeld etwas n?her zu erkunden. Ein bisschen frische Luft, Natur und etwas Bewegung (zur Abwechslung auch Mal au?erhalb des Fitness Studios) und ein paar neue Leute kennenzulernen w?re natürlich auch sch?n.
Durch Zufall sto?e ich im Internet auf die ?Beijing Hikers“, ein Anbieter für Wandertouren rund um Beijing und in China.
?Wir machen es Ihnen leicht, bei einer Tageswanderung oder einem Campingausflug, aus der Stadt in die Berge Beijings zu gelangen. Wir kümmern uns um die Organisation, so haben Sie die M?glichkeit, die Sehenswürdigkeiten und Landschaften beim Wandern zu genie?en“, hei?t es auf der Webseite.
Klingt doch super! Genau das, was ich suche! Wandern war ich noch nie. Der Ausflug geht in die Yudu Berge. Die Yudu-Berge liegen im Nordwesten von Beijing, in einem Gebirgsnaturschutzgebiet im Bezirk Yanqing, das sich über 100 Quadratkilometer erstreckt.
Berge, rei?ende Flüsse und tiefe W?lder. Ob ich stark genug sein werde für die Wildnis da drau?en?
Mein Wecker klingelt um 4 Uhr. Nach zwei Tassen Kaffee bin ich immerhin stark genug und bereit, die Zivilisation und mein sichers zu Hause in den Hutongs zu verlassen. Vorher rette ich noch schnell einen Gecko, der sich in mein Wohnzimmer verlaufen hat. Es ist beinahe wie ein Zeichen - die Natur erwartet mich.
Um 6:45 muss ich am Treffpunkt sein. Die Beschreibung im Anhang der Email, die mir Hayden, der Manager von den ?Beijing Hikers“ geschickt hat, ist so gut, dass ich, trotz meines schlechten Orientierungssinnes, sogar schon etwas früher dort ankomme.
Nachdem alle Wanderv?gel im Bus sitzen, heute sind es insgesamt 15, verteilt Hayden erstmal Wasser, Bananen und Snickers. Die leckeren Kalorienbomben stehen zwar nicht auf meinem Di?tplan, aber für eine Wanderung mit dem Level 4, braucht der K?rper schon ein bisschen mehr Energie als sonst.
Hayden kam vor über zehn Jahren aus Neuseeland nach Beijing. Er lernte seine Frau hier kennen und nach ein paar Wandertouren merkten sie, wie gut das bei den Leuten ankommmt. So entstand die Gesch?ftsidee für professionelle Wandertouren.
Alle sind noch recht müde und müssen erst einmal wach werden. Die Truppe der überlebensk?mpfer von heute ist eine bunte Mischung aus Deutschen, US Amerikanern, Finnen, Schweden, Franzosen, Norwegern und Chinesen. Das Alter liegt zwischen 28 und 60 Jahren. Einige von ihnen, sind bereits erfahrene Hiker. Andere wie ich, sind zum ersten Mal dabei und wissen noch nicht so ganz genau, was da auf sie zukommen wird.
Kurz vor der Ankunft macht jeder überlebensk?mpfer noch schnell das, was ein echter überlebensk?mpfer einfach machen muss: Nochmal schnell mit Sonnenmilch eincremen.
Kaum angekommen, geht das Abenteuer auch schon los. Anstelle eines sanften Anstiegs, erwartet uns ein steiler Auftsieg über schmale Treppen, hinauf zum Gipfel des Berges. Es ist hei?, die Sonne prallt auf uns herab und nach noch nicht einmal 10 Minuten Aufstieg, schnaufe ich bereits wie ein alte Dampflock. Andere Wanderer kommen uns entgegen und rufen uns auf Chinesisch ?Jiayou“ zu, was soviel hei?t wie ?Du schaffst das!“ Ich balle meine Hand zur Faust und pruste ebenfalls ein Jiayou heraus. Diesen Ausruf werden wir noch h?ufiger h?ren.
Bis heute dachte ich, dass ich eigentlich recht fit bin. Der Tag heute soll mich eines Besseren belehren. Ich mache viel Sport. Kraftausdauerkurse meistens. Aber das hier ist doch nochmal eine ganz andere Hausnummer. Hinzu kommt hier noch die H?henangst. Aber der Ausblick ist die Strapaze wert. Es ist einfach überw?ltigend.
Bergab wird es dann - auch nicht unbedingt leichter. Ein schmaler Pfad führt uns durch dichtes Gestrüpp und Dickicht, durch die W?lder ringsum der Yuduberge, die ab und zu durch die Baumkronen zusammen mit dem klaren hellblauen Himmel hindurchscheinen. Man sollte sich aber w?hrend des Wanderns nicht allzusehr von der Sch?nheit dieses Anblicks ablenken lassen. Der ein oder andere rutscht bei so etwas dann n?mlich schonmal die B?schung runter.
Generell muss man sich sehr konzentrieren. Einmal nicht auf den Weg geschaut und schon ist es passiert. Michael K. Aus Deutschland ist schon ?fter mit den Beijing Hikers gewandert. Er sagt: ?Man muss sich schon darüber im Klaren sein, dass das hier kein Spaziergang, sondern eine Wanderung ist.“
Trotz der k?rperlichen Belastung merkt man den meisten Teilnehmern an, dass sie den Stress des Alltags hinter sich gelassen haben. Hiken ist, stelle ich fest, eine gute Art zu meditieren.
Das Highlight der Wanderung und die erste richtige Pause ist dann am Sujia Fluss. Mein pers?nlicher H?hepunkt der Wanderung. Das Wasser des kleinen Flusses pl?tschert einladend vor sich hin. Schmetterlinge flattern um die ersten sonnenverbrannten Nasen. Was für eine Idylle.
W?hrend die einen sich noch ausruhen, gehen ein paar von den anderen zu einer natürlichen Quelle, deren Wasser man – natürlich - trinken kann. Wir füllen unsere Flaschen mit dem herrlich kühlem Lebenselixier. Das Einzige, was jetzt noch besser schmecken kann, ist ein kühles frisch gezapftes Hefeweizen!
Es geht weiter. Nicht nur am Fluss entlang, sondern auch durch den Flu? hindurch, über Stock und Stein, was bei den meisten ziemlich wackelig aussieht. Und weil ich mir sicher bin, dass ich früher oder sp?ter sowieso im Wasser lande, entscheide mich gleich für die Variante ?nasse Fü?e“ und wate direkt durchs Wasser. Bei der Hitze sind nasse Schuhe ein Segen stelle ich fest.
Immer wieder halte ich kurz inne und wundere mich über die Sch?nheit dieser Landschaft und darüber, wieviele Seiten dieses Land hat, die ich noch gar nicht kenne und jetzt kennenlernen darf. Ich bin glücklich. Glücklich hier zu sein.
Dann nehmen wir den letzten Auftsieg vor dem letzten Abstieg in Angriff. W?hrend die M?nner ihre Anstrengungen mit Schweigen ertragen, verdr?ngen die weiblichen Teilnehmer die Strapazen durch, wie sollte es anders sein, unterhaltsames Geplauder. Ein Hoch auf die Gruppendynamik.
Tian, eine junge Chinesin und ich sind an unseren Grenzen angelangt und bilden mit Hayden und Michael, die uns beim Abstieg helfen, die Nachhut. Michael erinnert sich vergnügt, an seinen Muskelkater, den er damals nach seiner ersten Wanderung mit den Beijing Hikers hatte. “Ich bin damals drei Tage lang wie ein Pinguin durch die Gegend gewatschelt,“ lacht er. Da lache ich noch mit.
Endlich erreichen wir das Ziel! Und genau in diesem Moment, kommt auch unser Bus, der das ersehnte Bier mitbringt, das wohl verdient ist und diesen wundersch?nen Tag und das abenteuerliche Wandererlebnis mit einem perfekten Ende begie?en soll.
Fazit: Alle haben überlebt, wenn auch einige nur knapp (an dieser Stelle viele Grü?e an Mike, unseren Bruchpiloten aus den USA), niemand hat sich verirrt (au?er 2 Leuten ganz kurz, weil sie anderen Wanderern hinterherliefen, Grü?e an Tian und Michael K.).
Hayden und Mengxiang, der zweite Wanderführer, haben gut und gewissenhaft auf ihren Sack Fl?he aufgepasst, damit die sich auch wieder auf die n?chste Wanderung mit den Bejing Hikers freuen k?nnen.
Es war ein herrlicher Tag und ein abenteuerliches Erlebnis. ?
Noch ein paar kleine Tips noch von mir, für alle, die jetzt auch Lust haben, auf ein Hiking Abenteuer:
Vorher und nachher ausreichen Dehnübungen machen, genug frühstücken, ausreichend Wasser und isotonische Getr?nke einpacken und vor allem: auf einen richtig sch?nen mehrt?gigen Muskelkater in den Oberschenkeln vorbereiten (Pferdesalbe wird zum besten neuen Freund).
In diesem Sinne:
JIAYOU,
Eure Tanja